Arbeitsprobe

Szenische Lesung im Museum Mahnmal St. Nikolai
Grußwort Katharina Fegebank

Texterin: Ebba Schröder

Auftraggeber: Senat der Freien und Hansestadt Hamburg – Senatskanzlei

Zeitpunkt der Erstellung: Januar 2023

** Es gilt das gesprochene Wort **

Sehr geehrte Frau Dr. XX, sehr geehrter Herr YY, sehr geehrte Frau ZZ, liebe Schülerinnen und Schüler, meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich möchte mich sehr herzlich für die Einladung bedanken. Es ist mir eine große Ehre, heute hier zu sprechen, an diesem besonderen Tag, an diesem besonderen Ort, zu diesem besonderen Anlass.

Der 27. Januar ist ein Tag, der uns daran erinnert, wozu wir Menschen fähig sind. Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Soldaten befreit. Was sie dort entdecken mussten, lässt uns noch heute den Atem stocken vor Entsetzen.

Es ist ein Tag, der fassungslos macht, der beschämt, der uns weinen lässt. Weinen um die Millionen von Opfern des nationalsozialistischen Rassenwahns. Jüdinnen und Juden zumeist, aber auch Sinti und Roma, Homosexuelle, Kriegsgefangene, all jene Menschen, deren Leben die Nationalsozialisten sich anmaßten, für „lebensunwert“ zu erklären. Dieser Tag steht stellvertretend für die Jahre des Folterns, des Mordens und des unermesslichen Leids in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten. Dieser Tag darf nie vergessen werden.

Doch nicht nur der Tag ist ein besonderer. Auch der Ort ist es. Das Mahnmal St. Nikolai steht wie kein anderer Ort für die Zerstörung Hamburgs im Zweiten Weltkrieg. In diesem Jahr jährt sich zum 80. Mal die Operation „Gomorrha“, während der die Hamburger Innenstadt massiv bombardiert und zerstört wurde. Um ihre Ziele zu finden, orientierten sich die Alliierten am höchsten Kirchturm der Stadt. Die Einschläge der Bombensplitter sind noch heute zu erkennen.

Nach Kriegsende entschloss sich der Hamburger Senat, die Kirche nicht erneut aufzubauen, die Ruine stehen zu lassen. Und so steht die ehemalige Hauptkirche St. Nikolai heute als eindrucksvolles Mahnmal im Herzen unserer Stadt. Sie erinnert uns an die vielen Opfer des Nationalsozialismus und des Krieges. An Familien, die ihr Zuhause verloren. An Mütter und Väter, die ihre Kinder, Kinder, die ihre Eltern verloren. Auch diese Opfer wollen und dürfen wir nicht vergessen.

Sehr geehrte Damen und Herren, seit bald einem Jahr erleben wir wieder Krieg in Europa. Wieder müssen Kinder und Jugendliche sich vor Bomben fürchten. Wieder müssen sie ihr vertrautes Zuhause verlassen, weil sie dort nicht mehr sicher sind. Wieder bangen Millionen Menschen um ihr Leben, ihre Würde, ihre Träume. An einem Tag wie heute, an einem Ort wie diesem, denken wir auch an die vielen Ukrainerinnen und Ukrainer, für die sich die Geschichte auf so grausame Weise wiederholt.

Liebe Schülerinnen und Schüler, im Januar 1996 richtete sich der damalige Bundespräsident Roman Herzog mit einem Appell an die Deutschen. 1996, das ist jetzt auch schon wieder 27 Jahre her. In dem Jahr habe ich mein Abitur gemacht. Und ihr, ihr wart noch nicht geboren. Trotzdem sprach der Bundespräsident damals über euch. Er sagte nämlich: „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen.“ Diese künftigen Generationen, das seid auch ihr.

Doch wie geht das eigentlich: Sich an etwas erinnern, dass 80 Jahre zurückliegt? Sich erinnern an eine Zeit, die selbst eure Großeltern womöglich nur aus Erzählungen kennen? Und mit dieser Frage komme ich nun endlich auf den besonderen Anlass zu sprechen, aus dem wir heute hier zusammenkommen. Der Anlass ist der, dass es Ihnen, liebe Lehrerinnen und Lehrer, und euch, liebe Schülerinnen und Schüler des Helene-Lange-Gymnasiums, gelungen ist, zu erinnern. Zu erinnern an eine Geschichte, die so fern scheint, die einem aber – weil sie an der eigenen Schule stattgefunden hat – plötzlich ganz nahekommt.

Ich hatte Gelegenheit, einen Blick in die Protokolle zu werfen, die Sie so anschaulich aufbereitet haben – vor allem in die Auszüge, die wir heute Abend hören werden. Eindrücklich zeigen sie uns, wie sich nach 1933 Rassenlehre und Antisemitismus, das nationalsozialistische Frauenbild und das Ideal der „völkischen Erziehung“ ganz konkret im Schulalltag durchsetzten. Ja, tatsächlich präsentierte sich die damalige Schulleitung als so linientreu, dass ich bei der Lektüre mitunter das Gefühl hatte, einer Inszenierung beizuwohnen. Als würden die Lehrerinnen und Lehrer der damaligen Oberrealschule ein Theaterstück aufführen, ein Stück mit dem Titel: „Schule im Nationalsozialismus“. Aber nein, es war kein Stück. Es war bittere Realität. Eine Realität, an die wir heute Abend mit aller Wucht erinnert werden.

Ich ziehe meinen Hut vor diesem großartigen Projekt, vor Ihrem und eurem Engagement für die Erinnerung. Ich weiß, dass viel Arbeit und viel Herzblut hineingeflossen sind.

Bevor nun gleich die Lesung beginnt, möchte ich noch ein letztes Mal auf das Erinnern zurückkommen. Denn wozu dient es eigentlich, dieses Erinnern? Es solle „zur Wachsamkeit mahnen“, sagte Roman Herzog. Durch das Erinnern an die Schrecken des Nationalsozialismus werden wir uns unserer humanistischen und liberalen Werte bewusst. Wir verstehen, dass diese nicht selbstverständlich sind, dass wir sie verteidigen müssen gegen Angriffe von außen wie von innen. Das Erinnern macht uns stark gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung, gegen Hass und Hetze.

Neben der Wachsamkeit sehe ich aber noch einen weiteren Aspekt des Erinnerns: die Dankbarkeit! Ja, wirklich, ich bin dankbar. Denn, so schwer uns die Gegenwart auch scheinen mag, so sehr uns Krieg und Pandemie, Inflation und Armut belasten: Es geht uns heute so viel besser als vor 80 Jahren! Wenn man die Konferenzprotokolle der Helene-Lange-Oberrealschule liest, kann man vieles über die Vergangenheit lernen. Man kann aber auch den Blick aufs Heute richten und sagen: Hey! Was für ein Glück habe ich, in der heutigen Zeit zu leben, in einer funktionierenden Demokratie, in der die Menschenrechte geachtet werden, in einem Schulsystem, in dem sich jeder und jede frei entfalten kann. Ich persönlich empfinde das als großes Glück. Ich hoffe, Ihnen und euch geht es genauso.

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